Deutsch-chinesischer Schüleraustausch im Rahmen kultureller Bildung

Eine Gruppe von 12 Schülerinnen und Schülern und zwei Kulturlehrerinnen (Frau Dr. Ruthemeier und Frau Kühl) ist vom 17.01. bis 01.02.2019 nach China gereist und hat dort mit einer chinesischen Schülergruppe von ebenfalls 12 SuS gemeinsam ein Musikprojekt zum Thema „Musik im ländlichen Raum“ durchgeführt. Unterstützt wurde der Schüleraustausch von der Stiftung Mercator. Im Folgenden berichtet unsere Schülerin Augustina Porombka vom Austausch. Fotos vom Austausch gibt es hier zu sehen.

 

Zwei Wochen in China

Augustina Porombka

Als ich am Donnerstagmorgen am Flughafen Tegel versuchte, meinen Koffer auf das Gepäckband zu legen und eine geschlagene Minute unter den kritischen Blicken des Flughafenmitarbeiters und den anderen siebenundzwanzig Leuten hinter mir in der Reihe daran scheiterte, mein Gepäck richtig anzuheben, da wusste ich: Das wird eine ganz andere Reise.
Denn es ging nach China! Mit zwölf deutschen Schülern und drei Lehrerinnen (auf die zwölf chinesischen Schüler und die zwei Reisebegleiterinnen würden wir zwei Tage später noch treffen) ging es, nachdem wirklich alle Koffer auf dem Weg ins Flugzeug waren, auf nach Frankfurt. Frankfurt? Ach, okay, das war nur der erste Zwischenstopp. Die Frau neben mir im Flugzeug verabredete sich zum Brunch, während ich zum ersten Mal auf dem Weg nach China einschlief.
Nach einem mehr oder weniger spannenden Aufenthalt in Frankfurt, ging es wirklich los. Sicherheitsgurt festgezogen, Schlafmaske auf der Stirn positioniert und das Nackenkissen umgeschnallt, überstand ich die zehn Stunden im Flugzeug zusammengerollt und schlafend in meinem Sitz und wachte erst auf, als es hieß: Willkommen in China.
Noch ein wenig wackelig auf den Beinen, stand ich vor dem Gepäckband und wartete auf meinen Koffer. Wenigstens fiel mir das Runter- leichter als das Raufheben.
Während ich dann mein Gepäck stolpernd neben mir her in die Flughafenhalle rollte, wurde mir eins schlagartig bewusst: Ich war berühmt! Die Menschen hatten ihre Handys gezückt und machten Fotos. Sogar ein echter Fotograf stand hinten bei unserer Reisegruppe. Doch Fehlanzeige. Gerade wollte ich ein paar Autogramme geben, als uns erklärt wurde, dass wir als Leute mit dem Aussehen europäischer Touristen in China oft fotografiert werden würden. Und es stimmte. Die nächsten zwei Wochen wurden so viele Bilder von uns gemacht, dass ich die Hoffnung nie richtig verloren habe, dass wir doch sowas wie lokale Berühmtheiten waren.
Vom Flughafen ging es direkt zum Bahnhof. Unser erstes Essen in China in einem Fast Food Restaurant und einen glorreichen Sturz von mir und meinem Koffer später, saßen wir alle im Schnellzug nach Changsha. Und da fiel mir das erste Mal in den zwei Wochen etwas auf: In Zügen dieser Art gibt es keine westlichen Toiletten. Denn in China findet man hauptsächlich Stehtoiletten.
Nach sechs Stunden und einem Cheeseburger bei McDonalds, kamen wir endlich in unserem wirklich luxuriösen Hotel an. Am nächsten Morgen beim Frühstück (es war sieben Uhr und meine Freundin und ich hatten gerade mal drei Stunden Schlaf bekommen), konnte ich immer noch nicht so recht glauben, dass wir in China waren. Es fühlte sich einfach nicht so weit weg von zuhause an. Zwei chinesische Schülerinnen versuchten, mir mit einer unglaublichen Geduld beizubringen, wie man ein Brötchen mit Stäbchen isst. Doch es half nichts. Ich musste das erste und letzte Brötchen, das ich in China essen würde, mit der Hand verspeisen. Ja, in China isst man nämlich eigentlich kein Brot, was uns nach fünf Tagen noch schmerzlich bewusst werden würde.
Zum Glück waren die chinesischen Schüler überaus hilfsbereit. Und, obwohl es mir wirklich unangenehm war, wie viel sie für uns taten, war ich doch glücklich, dass mir die Peinlichkeit erspart blieb, meinen Koffer in den Kofferraum des Busses, der uns in der ersten Woche auf unserer Reise begleiten sollte, zu hieven.
Die darauffolgende Busfahrt, war eine von vielen, äußerst erholsamen Fahrten. Während sich mein Sitznachbar die Mütze bis runter zur Nase zog und sich auf seinem Sitz breitmachte, um den verlorenen Schlaf nachzuholen, stöpselte ich mir meine Kopfhörer ein und hoffte, dass ich aus meinen drei Stunden, die ich geschlafen hatte, wenigstens fünf machen zu können. Zwar war die Ansage, wenn auch unter Protestrufen unsererseits, gewesen, dass wir wandern gehen würden. Jedoch, und das würden wir noch sehr oft auf unserer Reise erleben, gingen wir nach einer vierstündigen Busfahrt doch zu einem Mittagessen mit Teezeremonie.
Auf dem Weg zum Restaurant lernte ich meine Partnerin kennen. Uns allen wurde ein chinesischer Schüler oder eine Schülerin zugeordnet, mit denen wir in den nächsten Wochen in einem Zimmer schlafen und gegebenenfalls verschiedene Aufgaben bewältigen sollten. Während ich ihr schlaftrunken erzählte, dass ich immer noch nicht begriffen hatte, dass ich in China war, betraten wir das Restaurant und ich öffnete überschwänglich meine Jacke. Ich freute mich, mich richtig aufzuwärmen, da es im Bus nicht gerade muschelig warm gewesen war. Ich schloss die Augen und bereitete mich darauf vor, von einem heißen Schwall beheizter Luft willkommen geheißen zu werden. Doch nichts da! Ich öffnete die Augen voller Enttäuschung und wollte mich schon über den eisigen Raum beschweren, da fiel es mir wieder ein: In Südchina gibt es keine Heizungen. Mit erneut geschlossener Jacke und einer Aussicht auf zwei frostige Wochen, machte ich mich ganz klein auf meiner Bank, während Schüler für Reise nach Jerusalem ausgewählt wurden. Vor den Eisbrecherspielen hatte ich mich erfolgreich gedrückt.
Das nächste Hotel war bei weitem nicht so luxuriös wie das erste, aber es war kein Vergleich zu dem, was uns als nächstes erwarten würde. Nach einer Wanderung in schwindelerregenden Höhen in den sogenannten Avatarbergen und einem ausgiebigen Schläfchen, kam der Bus zum Stehen. Und als ich mich widerwillig aus meiner Schlafposition gewunden hatte, traute ich meinen Augen nicht: Zwei kleine Kinder standen in der Tür eines äußerst baufälligen Haus und betrachteten unseren Bus neugierig, während die Mutter Wasser aus einem Hahn vor dem Haus in einem Eimer füllte. „Nicht dein Ernst“, sagte ich zu meinem Sitznachbarn, der ebenfalls geschockt auf die Szenerie vor unserem Busfenster blickte.
Keine zehn Minuten später standen wir auf dem Hof der einzigen Grundschule des ärmlichen Dorfes, in dem wir die nächsten vier Nächte in einem Hotel ohne westliche Toiletten und funktionierende Klimaanlagen, bleiben würden. Die kleinen Schüler waren die gastfreundlichsten und aufgeschlossensten Kinder, die ich je erlebt habe. Eins erkundigte sich zwischen einem Kalligraphiekurs und einer Stickstunde, wie es mir gehe. Leider auf chinesisch und so brachte ich als Antwort nicht mehr raus als ein fröhliches „Nja“. Was „nja“ bedeutet? Tja, das war mir selbst nicht ganz klar und dem kleinem Jungen bestimmt auch nicht.
Schweren Herzens verabschiedeten wir uns nach zwei eiskalten (denn in der Grundschule gab es keine einzige Möglichkeit zu heizen), aber bezaubernden Tagen voller Seilspringen und gemeinsamen Essen in der Mensa der Schule.
Die nächsten Tage verbrachten wir wieder in einem kleinen Dorf, lernten traditionelle Lieder und Tänze, guckten uns alte Tempel an, lernten viel über eine der Religionen in China und machten eine Bootsfahrt über den Fluss. Es waren die einzigen Tage, die wirklich warm waren. Am Abend gab es eine atemberaubende Performance von einer der Minderheiten in China, mit der wir uns beschäftigt hatten.
Nach meinem erbärmlichen Versuch, meinem Koffer das Kopfsteinpflaster hoch zu schieben und einem kurzen Aufenthalt in Phoenix Town, war die erste Woche auch schon vorbei. Jetzt ging es in den Flieger nach Nanjing.
Die epischen Busfahrten blieben in der zweiten Woche leider aus, dafür waren wir die ganze Zeit im selben Hotel, was hieß, dass ich mich frei, ohne meinen Koffer bewegen konnte.
Wir fuhren jeden Morgen, nach dem leckersten Frühstück, das ich je probiert hatte, in eine Art Institut und beschäftigten uns mit Kun Oper (einer Regionaloper in China) und allem, was dazu gehörte, wie dem Make-Up, den Fächern und der Geschichte einer der ältesten Theaterformen. Wir lernten die verschiedenen Charaktere kennen, lernten so zu sprechen, uns zu bewegen und zu laufen, wie es für sie vorgeschrieben ist. Denn dafür gibt es bei der Kun Oper spezielle Regeln, wie eine Choreographie, die sich durchs ganze Stück zieht. Man darf zum Beispiel nur einen Schritt machen, wenn ein Gong, der meist neben der Bühne gespielt wird, ertönt. Die Abstände der Gongtöne variieren je nach Figur. Auch eine zweistündige Vorführung verschiedener Szenen aus verschieden Opern bekamen wir zu sehen. Sogar eine berühmte Schauspielerin kam und half uns,  in die Rollen hinein zu finden, denn wir sollten in gemischten Gruppen eigene Stücke entwickeln. Tja, und das ist gar nicht so einfach, wie man denkt, denn, mal abgesehen von ein paar Sprachbarrieren, ist Kun Oper wirklich anspruchsvoll. Und es wurde nicht weniger herausfordernd, als uns schließlich gesagt wurde, dass dabei auch immer gesungen wird. Nachdem unsere Gruppe versucht hatte, sich mit wirklich überzeugenden Argumenten aus der Sing-Affäre zu ziehen, einigten wir uns darauf, Bohemian Rhapsody laut und schief auf der Bühne zu schmettern.
Richtig begeistert war davon aber niemand, denn eigentlich singt in der Kun Oper jeweils immer nur eine Person. Diese singt auch keine Rocklieder aus den Siebzigern, sondern meistens chinesische Lieder mit langgezogenen Wörtern und hohen Tönen. Aber so war es nun mal jetzt.
Wir führten in einem traditionellen Kun Oper Theater auf und bekamen sogar richtige Kostüme. Ein würdiger Abschluss. Denn nach einem kurzen Zwischenstopp im Hotel brach schon der letzte Abend an. Noch ein letztes Mal trafen wir uns mit den chinesischen Schülern in der Lobby und besprachen, wie man am besten in Kontakt bleiben könne, da wir am nächsten Morgen abfliegen würden.
Und dann war es so weit: Nach dem Frühstück fuhren wir in den zwei kleinsten Bussen, die ich je gesehen habe, zum Flughafen und mussten uns wohl oder übel verabschieden. Das einzige, was die Stimmung ein wenig fröhlicher machte, war die Aussicht auf zwei gemeinsame August-Wochen. Tja, dann saßen wir schon im Flieger, und es hieß: Tschüss China!
Melancholie machte sich endgültig breit.
Wir kamen viel zu spät am Frankfurter Flughafen an. Es war so spät, dass nicht klar war, ob wir die Maschine nach Berlin noch kriegen würden. Und während die  Dame vor mir an der Sicherheitskontrolle sich fröhlich mit dem Flughafenmitarbeiter unterhielt, bekam ich einen halben Nervenzusammenbruch. Wir wollten nach Hause, wenn schon, denn schon. Frankfurt ist eben nicht Nanjing.
Wir sprinteten zum Gate, nachdem die Frau vor mir ihren Plausch beendet hatte und bekamen zum Glück den Flug. Und schließlich standen wir an der Gepäckausgabe in Berlin. Ich schloss meinen Koffer in die Arme, den ich nach alldem, was wir zusammen erlebt hatten, doch lieb gewonnen hatte. Wir waren zuhause! Und es war gar nicht so besonders wie gedacht. Ich bin mir sicher, ich rede nicht nur für mich, wenn ich sage, dass China eine sehr bereichernde, einzigartige und unvergessliche Reise war.

Mein Koffer und ich sind jetzt unzertrennlich. Und allein dafür hat es sich gelohnt.